Handwerk, Handel und Landwirtschaft: „Wir sitzen alle zusammen in einem Boot"

Wirtschaftsgespräch in der Genossenschaftlichen Allgemeinen Zeitung (GAZ) zum Thema "Westmünsterland - ein starkes Stück Westfalen?!"

26.11.2013

Westmünsterland. Die Wirtschaft im Westmünsterland ist gut aufgestellt, dennoch müssen vielfältige Aufgaben angepackt werden. Vor allem die Folgen des demographischen Wandels, die Zukunft regionaler Zentren, Veränderungen in der Landwirtschaft und der Fachkräftebedarf stellen besondere Herausforderungen dar. Dieses Fazit lässt sich aus dem Wirtschaftsgespräch ziehen, bei dem sich Johannes Röring, MdB und Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Karl-Friedrich Schulte-Uebbing, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, Dr. Michael Oelck, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Coesfeld, und Dr. Wolfgang Baecker, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Westmünsterland, den Fragen von Dr. Thorsten Weiland, Herausgeber der Genossenschaftlichen Allgemeinen Zeitung, und Wolfgang Kleideiter, stv. Chefredakteur Westfälische Nachrichten, stellten.

Teilnehmer des Wirtschaftsgesprächs 2013
Unter der Moderation von Wolfgang Kleideiter (Westfälisch Nachrichten; l.) und Dr. Thorsten Weiland (Genossenschaftliche Allgemeine Zeitung; r.) diskutieren (v.l.) Karl-Friedrich Schulte-Uebbing, Dr. Michael Oelck (Kreishandwerkerschaft Coesfeld), Johannes Röring (MdB, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes Münster) und Dr. Wolfgang Baecker (VR-Bank Westmünsterland eG) zum Thema Wirtschaft im Westmünsterland.

GAZ:  Die Bevölkerungszahlen sinken, die Altersstruktur ändert sich massiv. Junge Menschen wenden sich vom ländlichen Raum ab. Hat das westliche Münsterland angesichts einer solchen Entwicklung überhaupt noch eine Chance?

Röring: Ich denke, wir haben da im Vergleich zu den Ballungszentren einiges zu bieten. Man denke doch mal an das gesamte Wohnumfeld und die deutlich geringeren Kosten, die junge Familien hier zu zahlen haben. Sicherlich müssen wir auch innovativ und modern sein, kulturelle Vielfalt bieten, um attraktiv zu sein und gegenüber Baden-Württemberg, Bayern oder dem Rhein-Main-Gebiet mithalten zu können.
Schulte-Uebbing: Sicherlich können wir mit dem sozialen Umfeld punkten. Mit der hohen Lebensqualität der Region, die in allen Umfragen herausgestellt wird, lassen sich gewiss Menschen ansprechen und gewinnen.
Röring: Das soziale Miteinander wird aber nur dann gelingen, wenn wir auch an eine passende Arbeitsplatzgestaltung denken. Viele arbeiten acht Stunden und mehr am Tag und haben noch eine Familie. Deshalb sollten wir uns Gedanken über flexible Arbeitszeiten, Job-sharing oder Teilzeit machen, um das Ehrenamt weiter zu stärken.
Dr. Baecker: Auf dem Gebiet wird sich auch im ländlichen Raum sicher noch einiges verändern, wobei die erwähnte soziale Komponente tatsächlich ein großer Pluspunkt unserer Region ist und bleiben sollte. Wir sollten allerdings ein anderes Problem nicht übersehen: In unserer ländlichen Region ist keine einheitliche Entwicklung zu erwarten: Die regionalen Zentren einerseits und die kleineren Gemeinden und Dörfer andererseits drohen sich unterschiedlich zu entwickeln: In vielen Dörfern haben wir bereits heute so gut wie keinen Einzelhandel mehr. Sicherlich gibt es Bemühungen gegenzusteuern, beispielsweise durch genossenschaftliche Kommunalläden. Doch es droht die Gefahr, dass sich nach dem Handel später auch das Handwerk verabschiedet, dann die Menschen den Ort verlassen. Es könnte dann nicht nur leer stehende Ladenlokale, sondern auch leer stehende Wohnungen geben. Die gesamte Infrastruktur droht dann zu kippen.

Dr. Oelck: In diesem Zusammenhang ist durchaus die Regionale interessant, mit der der Wert des westlichen Münsterlandes mit seinen Parklandschaften, dem Wohlfühlcharakter und dem gesamten Image unterstrichen werden soll.

GAZ: Dr. Baecker hat die Situation in den Dörfern sehr deutlich beschrieben. Aber es kann doch nicht bei einer Zustandsbeschreibung bleiben. Was lässt sich denn gegen diese Entwicklungen unternehmen?

Schulte-Uebbing: Eines vorweg: Diese Situation gibt es nicht nur auf dem Dorf, sondern auch in vielen Vororten von Städten, wobei Versorgung nicht nur Lebensmittel meint, sondern auch den Arzt und die Daseinsvorsorge insgesamt. Für diese Problematik muss es individuelle Antworten geben. Ich könnte mir vorstellen, dass es in einem solchen Dorf ein Zentrum gibt, in dem ein Grundversorgungsladen mit Poststelle und Apothekenversorgung sowie verschiedenen Dienstleistungsangeboten kombiniert wird. Es sollte möglich sein, dass an festen Wochentagen unterschiedliche Fachärzte Sprechstunden anbieten. Doch diesem Modell nach dem Motto „Alles unter einem Dach“ stehen vielerlei Gesetze entgegen, wobei eine solche Anlaufstelle auch der Förderung der sozialen Kontakte dienlich wäre. Ich glaube aber auch daran, dass wir eine Renaissance des fahrenden Händlers, den Kiepenkerl 2.0, erleben werden. Es wird mehr rollende Läden geben, die zum Kunden kommen. Gleichzeitig gibt es auch bereits Modelle, bei denen die Kunden durch einen Bürgerbus gemeinsam zum Händler gebracht werden. Wir müssen bei diesem Thema in alle Richtungen denken. Allerdings wird es auch Standorte geben, die auf Dauer nicht zu versorgen sind. Da müssen dann die Entwicklungspotenziale auf ein Netz von zukunftsfähigen Zentren konzentriert werden.

Karl-Friedrich Schulte-Uebbing
Karl-Friedrich Schulte-Uebbing, Hauptgeschäftsführer IHK Nord Westfalen

GAZ: Sind nicht solche Zeiten wie geschaffen, um auf genossenschaftliche Strukturen zurückzugreifen?

Schulte-Uebbing: Diese Modelle haben sich bewährt und würden auch eine Chance bieten. Die Leute hätten einen Anteil an dem Laden, damit eine Bindung und wären wohl auch bereit, ein wenig mehr zu bezahlen, damit sich das Geschäft trägt und man unternehmerisch wirtschaften kann. Dies setzt aber die Einsicht der Bevölkerung voraus, dass der Laden um die Ecke wichtig ist und nicht nur vom Verkauf der Tüte Milch leben kann, die der Kunde woanders vielleicht vergessen hat.

GAZ: Aber dauert das alles nicht viel zu lange, derweil sich die Situation weiter verschärft?

Röring: Wir sollten uns vor Augen führen, dass dies nicht nur ein Phänomen in kleinen Dörfern ist, sondern dass auch in mittleren Städten der Leerstand zunimmt. Das müssen wir im Blick haben, sonst bekommt man den nächsten Goldankauf oder eine weitere Spielhalle. Hier sind auch die Kommunen gefragt. Im Umgang mit Schrottimmobilien hat der Gesetzgeber durch die Novelle des Baugesetzbuches neue Instrumente für die Kommunen geschaffen.

Dr. Oelck: Donuts sind zu vermeiden. Mit dem Begriff ist gemeint: innen hohl, außen Schokoladengürtel. Um voran zu kommen, ist die Bundesregierung am Zug, die Anreize zur energetischen Sanierung per Gesetz schaffen muss. Auf diese Weise können Altbauten saniert werden, was für viele Innenstädte ein wichtiger Schritt wäre.

GAZ: Müsste man ähnlich wie bei den Ärzten Anreize, beispielsweise finanzieller Art, schaffen, um Kaufleute anzulocken.

Schulte-Uebbing: Staatlich subventionierte Nahversorgungsprojekte, die dann vielleicht sogar im Wettbewerb zu privaten Anbietern an anderen Standorten treten, sind der falsche Weg. Aber eine Kommune sollte sich schon aktiv um die Kaufleute bemühen, beispielsweise durch die gemeinsame Suche nach Standorten und Kooperationspartnern.
Dr. Baecker: Was wir dringend brauchen, sind integrierte Handlungskonzepte für den ländlichen Raum, wobei sich die Kommunen nicht gegenseitig ausstechen, sondern gemeinsam nach vorne gehen sollten. Beispiele gibt es ja in der Region. Aber häufig zeigen sie mehr die unterschiedlichen Interessenlagen der Beteiligten auf als die gemeinsame übergeordnete Zielsetzung. Da sehe ich durchaus die Politik in der Pflicht, sich dieser Aufgabe gemeinsam mit den Kreis- und Kommunalverwaltungen anzunehmen. Und zwar mit einer langfristig angelegten Perspektive.

GAZ: Die Zukunft der Städte hängt in unserer virtuellen Welt immer stärker von den technischen Möglichkeiten und den Zugängen zum Internet ab. Ist da das westliche Münsterland entsprechend gewappnet?

Röring: Sprechen wir über Infrastrukturen, dürfen wir alte und neue Straßen, also Verkehrswege und die Datenautobahnen, sprich Glasfaser, nicht außer Acht lassen. In Borken geht es gut voran, dort sind wir bald schneller als in Berlin-Mitte. Denn wir wissen, dass die Qualität der Internetverbindung ein Kriterium bei der Standortwahl der Unternehmer darstellt.
Schulte-Uebbing: Weil die Internetanbindung und deren Qualität so wichtig ist, haben wir versucht, die Breitbandverlegung in die neue Förderphase der EU-Programme zu bekommen. Schließlich basieren ein Drittel aller Produktivitätsfortschritte von modernen Volkswirtschaften auf dem Einsatz von IT. Es muss darum gehen, Nachteile des ländlichen Raumes gegenüber den Ballungszentren auszugleichen, damit unsere Betriebe im wahrsten Sinn des Wortes den Anschluss nicht verlieren. Das scheint jetzt auch in Berlin erkannt worden zu sein. Wir werden sehen, was aus den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene übrig bleibt bezüglich der geplanten Breitbandförderung. Der Kreis Borken hat übrigens schon früh viel in den Breitbandausbau investiert. Fakt ist aber trotzdem, dass der ländliche Raum insgesamt strukturbedingt noch Nachholbedarf hat, was schnelle Internetverbindungen angeht.

GAZ: Wie auf das Internet sind Haushalte und Betriebe auch auf eine gute Stromversorgung angewiesen. Ist die im westlichen Münsterland vorhanden?

Schulte-Uebbing: In unserer jüngsten Umfrage haben 14 Prozent der Unternehmen angegeben, dass sie mit betriebsrelevanten Spannungsschwankungen Probleme haben. Das ist ein hoher Wert. Doch es geht nicht nur um Versorgungssicherheit, sondern auch um die Energiepreise. Unsere Firmen müssen wettbewerbsfähig bleiben. Da wirft die aktuelle Strompreisentwicklung durchaus Fragen auf, kostet doch die Kilowattstunde an der Börse 3,8 Cent, der Verbraucher zahlt 28 Cent. Manche Unternehmen zahlen auch etwas weniger, doch können gerade einmal 70 Firmen in Nord-Westfalen die insbesondere für die internationale Wettbewerbsfähigkeit extrem wichtigen Vergünstigungen in Anspruch nehmen.
Dr. Baecker:  In Frankreich, den Niederlanden oder Norwegen kostet die Kilowattstunde mitunter nur zwei bis drei Cent. Energie intensive Unternehmen werden dort investieren, wo die Energie günstig und sicher ist. Der Strompreis wird daher im europäischen Umfeld zu einem Standortfaktor.
Röring: Es bestehen ohnehin Verwerfungen. 28 Cent sind ebenso wenig realistisch wie die 3,8 Cent an der Börse, für die niemand kostendeckend Strom erzeugen kann. Auch die Befreiung von der EEG-Umlage ist zu überprüfen.
Dr. Oelck: Nach Fukushima lässt sich eine Dramatik in der Entwicklung erkennen, hat man doch massiv auf Ökologie und Sicherheit gesetzt. Aber inzwischen wird auch deutlich, dass die Energiepreise dadurch deutlich steigen. Der Bürger hat ohnehin weniger Geld in der Tasche, weil er allenthalben zusätzlich belastet wird, durch höhere Steuern, Grundbesitzabgaben, Bodenpreise und vieles mehr. Energiepolitik ist zu einem sozialen Umstand geworden, der gestaltet werden muss. Es darf aber nicht sein, dass die Masse zahlt und einige wenige den Profit einkassieren.
Schulte-Uebbing: Wir brauchen schlicht und ergreifend im Stromsektor marktwirtschaftliche Strukturen und müssen uns von den planwirtschaftlichen Instrumenten der heutigen Energiepolitik verabschieden. Die Politik muss akzeptieren, dass sie nicht schlauer ist als der Markt.

Johannes Röring
Johannes Röring, MdB und Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes

GAZ: Wird es dazu kommen?

Röring: Es gibt Beispiele wie die Gemeinde Saerbeck, die komplett raus will aus dem EEG-System und den erforderlichen Strom am Ort produzieren möchte. Wenn wir aber über die Preise reden, dann müssen wir dem Bürger gegenüber ehrlich sein und sagen, dass die Einführung der erneuerbaren Energien nicht ohne Kosten über die Bühne geht. Die Frage ist allerdings, mit welchem Tempo das passiert. Das kann nicht in fünf Jahren geschehen, nicht in dieser Geschwindigkeit, ansonsten wird es extrem teuer.
Schulte-Uebbing: Wir wollen die Energiewende, alle. Natürlich dreht sich im Moment alles um die Kosten der Energiewende, die sich in den steigenden Strompreisen niederschlagen. Doch es geht auch um Akzeptanz. Wer regenerative Energien will, der muss auch Biomasseanlagen, Windräder und neue Stromleitungen akzeptieren. Ich sehe aber im Moment aller Orten Widerstände der Menschen. Überall entstehen Bürgerinitiativen, die letztlich der Energiewende entgegenwirken. Der Griff ins Portemonnaie und gleichzeitig eine Veränderung des Lebensumfeldes scheinen einfach zu viel zu sein.
Röring: Der Netzausbau wird vor allem auch unsere kommunalen Versorgungsunternehmen beschäftigen, um auf die erneuerbaren Energien eingestellt zu sein. Intelligente Lösungen sind schließlich gefordert, um mit der Volatilität der regenerativen Energien, Sonne, Wind, Biomasse, wirtschaftlich sinnvoll umgehen zu können. Angesichts der erheblichen Schwankungen in den zur Verfügung stehenden Energiemengen wird zu überlegen sein, wie man die Produktion an die Stromversorgung anpasst. Hier wird auch das Handwerk sich einbringen können.

GAZ: Wenn es um Preise geht, hat sich offensichtlich eine Trendwende vollzogen. „Geiz ist geil“ scheint beendet zu sein, die Kunden haben offensichtlich nicht mehr den Igel in der Tasche. Kommt jetzt endlich für die Landwirtschaft und die Nahrungsmittel produzierenden Betriebe die Zeit, vernünftige Preise für gute Lebensmittel durchsetzen zu können?

Röring: Grundsätzlich will der Verbraucher angemessene Preise zahlen. Aber wir spüren auch, dass der Wettbewerb hart bleibt. Es gibt nun mal die Wirkmechanismen: Wenn genügend vorhanden ist, sinken die Preise, wird’s knapp, dann steigen sie. Letzteres lässt sich derzeit bei der Milch veranschaulichen. Da erzielen wir derzeit gute Preise. Anders ist das beim Getreidemarkt, der unter enormem Preisdruck steht. Die Erlöse haben sich um 30 Prozent verringert. Die Land- und Ernährungswirtschaft ist zunehmend in der Lage, Lebensmittel für den Weltmarkt zu liefern, wobei uns der Wochenmarkt vor der Haustür weiterhin am wichtigsten ist.  

GAZ: Wird eigentlich das finanzielle Plus, das die neuen Märkte, die neuen Chancen mit sich bringen, durch die Pachtzahlungen wieder aufgesogen?

Röring: Wir haben es sicherlich mit hohen Ausgaben für die Bodennutzung, also Kauf und Pacht, zu tun. Überhaupt beobachten wir eine steigende Kostenentwicklung, die Bremsspuren bei den Investitionen hinterlässt. Das werden Handwerk und Industrie bald merken, weil ihnen Aufträge wegbrechen.

GAZ: Man hört aber außerdem, dass Landwirte auch aus anderen Gründen weniger Geld in die Hand nehmen.

Röring: Sicherlich haben wir es hier auch mit politischen Faktoren zu tun. Die Diskussionen um Wachstum der Landwirtschaft oder um die Nährstoffkonzentrationen haben am Ende zu erhöhten Auflagen geführt. Als Beispiel sei der Filtererlass genannt. Das neue Baugesetzbuch führt dazu, dass weniger Baugenehmigungen erteilt werden.

GAZ: Da kann die Industrie doch sicherlich ein Wörtchen mitreden.

Schulte-Uebbing:  In der Tat. Baugenehmigungen sind auch hier ein wichtiges Thema. Unser Problem lässt sich mit wenigen Zahlen umschreiben: Um ein Hektar Land zu nutzen, braucht man bis zu vier Hektar Fläche für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Die gehen natürlich zu Lasten der Landwirtschaft. Da sind wir auf der Seite der Landwirte, denn das kann so nicht sein. Wenn wir uns in NRW als ein Industrieland verstehen, brauchen wir auch den Platz, und zwar im Einvernehmen mit der Landwirtschaft. Es geht darum, dass man wachsen kann, wenn man es will. Wir brauchen eine neue Allianz für die Fläche. Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe sitzen da in einem Boot.

GAZ: Was sagt die Agrarwirtschaft dazu? Rudern die, die in einem Boot sitzen, auch in dieselbe Richtung?

Röring: Ich erkenne im Moment sehr viel alte Agrarpolitik nach dem Motto: „Es ist von allem zu viel“. Man muss reduzieren und stilllegen. Das ist für mich ein völlig falsches Signal. Stattdessen ist Steigerung der Effizienz und nachhaltige Intensivierung erforderlich. Es wird nämlich mehr gebraucht und, wenn wir das auf leicht reduzierter Fläche tun sollen, dann muss dort entsprechend mehr produziert werden. Ansonsten verzichten wir auf Potenziale, die dann aus dem Ausland geliefert würden. Der hiesigen Wirtschaft würden Chancen genommen. Dabei lebt die Landwirtschaft im westlichen Münsterland von den Märkten und ist nicht nur auf die Transferleistungen der EU angewiesen. Deshalb plädieren wir auch in der aktuellen Diskussion um eine neue Agrarreform dafür, die Höfe direkt zu unterstützen, um deren Marktorientierung und Nachhaltigkeit zu fördern.

Dr. Michael Oelck
Dr. Michael Oelck, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Coesfeld

GAZ: Zu den besonderen Herausforderungen für das Jahr 2013 zählte wegen des doppelten Abiturjahrgangs der Ausbildungsmarkt. Wie sieht die Bilanz aus?

Dr. Oelck: Auf dem Lehrstellenmarkt ist die Nachfrage derzeit noch größer als das Angebot. Ich betone noch. Durch die doppelte Zahl von Abiturienten hat es allerdings keine Verschärfung der Lage gegeben. Als gefährlich erweisen kann sich, dass wir zu wenig auf die Unternehmensnachfolgen geschaut haben. Viele Unternehmer sind derzeit um die 50 Jahre alt. Wenn es mit deren Ruhestand in den Firmen nicht weitergeht, wird uns das in zehn Jahren hart treffen. Deshalb müssen wir jetzt gegensteuern und uns dieses Problems annehmen. Wir haben vor allem im Kreis Coesfeld eine junge Bevölkerung, die dann erhebliche Lücken im Angebot erfahren wird.
Schulte-Uebbing: Die aktuellen Zahlen zum Ausbildungsjahr 2013 können sich sehen lassen:  2.500 abgeschlossene Verträge in den Kreisen Borken und Coesfeld, damit nur 40 weniger als im Vorjahr. Wie das Handwerk, so haben auch wir den doppelten Abi-Jahrgang kaum zu spüren bekommen. Mit Sorge betrachten wir jedoch die Entwicklung bei kleinen Betrieben, die nicht mehr ausbilden möchten, weil es die Jugendlichen an wichtigen Kenntnissen, beispielsweise in Mathe oder Deutsch, mangeln lassen. Solche Firmen drohen uns wegzubrechen, da sie auf Dauer keinen Nachwuchs mehr haben. Wir bemühen uns derzeit, solchen Tendenzen entgegenzuwirken. Beispielsweise beteiligen sich im Kreis Borken die Unternehmen an dem Übergangsmanagement Schule-Beruf. Mit Hilfe dieser Landesinitiative sollen Schüler durch Praktika und Begleitung unterschiedliche Arbeitsplätze  kennen lernen.

GAZ: Bietet die Anwerbung von Jugendlichen aus dem Ausland eine Chance, um Lücken im Bedarf zu schließen?

Schulte-Uebbing: Da schauen wir natürlich direkt über die Grenze, nach Twente beispielsweise, obwohl wir da keine Massen erwarten dürfen. Aber auch die Versuche, junge Spanier anzulocken, verlaufen ja nicht problemlos. Mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende soziale Bindungen und schließlich auch das Wetter, so lächerlich das auch klingen mag, sind echte Hindernisse.

GAZ: Ist eigentlich das Westmünsterland attraktiv genug, um Akademiker und Fachkräfte zu halten oder zu holen?

Röring: Wir sollten die Frage fokussieren: Was können wir tun, dass die aus der Region stammenden Akademiker nach ihrem Studium wieder in die Heimat zurückkehren?  Die Region ist gefordert, sich attraktiv zu präsentieren. Hier sind nicht nur Kulturangebote und Radwege gemeint, sondern Innovation oder Zukunftsperspektiven.
Dr. Oelck: Wir sollten aber nicht nur an Hochschulabsolventen denken, denn wir benötigen zu 90 Prozent nichtakademische Fachkräfte. Laut Arbeitskraftmonitor der Arbeitsagentur ist bei uns in der Region zu 40 Prozent verarbeitendes Gewerbe aus Industrie und Handwerk angesiedelt, der Landesdurchschnitt beträgt ca. 27 Prozent. Mit einem Pfund können wir auf jeden Fall wuchern: Wer zu uns kommt, der hat eine langfristige Jobgarantie.
Schulte-Uebbing: Wir benötigen wirklich diejenigen, die nicht nur wissen, wie es geht, sondern es auch umsetzen können. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, auf Akademiker verzichten zu können oder zu wollen. Ich möchte Veranstaltungen an den Hochschulen, bei denen die Studierenden einmal die für sie entscheidenden Kriterien hinsichtlich der Standortwahl darstellen. Es scheint sich ohnehin ein neues Denken breit zu machen, das sich in folgendem Satz eines Studenten widerspiegelt: „Bei mir hat sich kein Unternehmen beworben. Das kenne ich noch anders.“
Dr. Baecker: Es hat sich in der Tat gedreht. Ein ähnlicher Fall wurde mir auch geschildert. Am Ende des Bewerbungsgesprächs konnte der Kandidat noch seine Fragen an das Unternehmen äußern. Dazu zog er eine dreiseitige, detaillierte Liste hervor. Seine Fragen: Hat der Arbeitgeber eine Lounge für die Pausen, gibt es WLAN für den Privatgebrauch, welche Hilfe gibt es bei der Suche nach einem Arbeitsplatz für die Partnerin, welches Sport und Gesundheitsangebot fördert der Arbeitgeber. Als das Angebot ihn zufriedenstellte, äußerte er, sich ein Engagement im Unternehmen vorstellen zu können. Der junge Mensch will wissen, wie der Betrieb aufgestellt ist, wie seine berufliche Zukunft einschließlich der Förderprogramme aussieht und was seiner Familie in der Region geboten wird. Mit diesen Ansprüchen der Bewerber muss man sich auseinandersetzen. Aufpassen sollte man bei Pauschalisierungen. Es wäre falsch, das Westmünsterland als Region für den Blaumann-Job zu kennzeichnen. Hier treffen wir abends in der Kneipe auch den Facharbeiter, der am nächsten Tag für seinen Betrieb nach China fliegt. Ohnehin ist Vorsicht geboten, Blaumann-Tätigkeiten und Akademiker-Aufgaben voneinander scharf zu trennen. Das geht heute ineinander über. Denn zahlreiche Mitarbeiter bilden sich weiter, machen zusätzliche Abschlüsse. Sie sind die hochqualifizierten Beschäftigten, auf die ein Unternehmen angewiesen ist.
Schulte-Uebbing: Das kann ich nur unterstützen. Wir bieten jetzt erstmals an, berufsbegleitend den Bachelor-Abschluss zu erreichen. Wir wollen am Ende auch den Masterabschluss anbieten.

GAZ: Fachkräfte und Akademiker sind wichtig für den Arbeitsmarkt, aber der kommt ohne Existenzgründer und Unternehmensnachfolger nicht aus. Ist der Boden hier gut bestellt?

Röring: In der Landwirtschaft sind Hofnachfolger vorhanden, aber längst nicht für alle Betriebe. Damit ein junger Landwirt den Hof übernimmt, braucht er auch eine klare Perspektive, den Betrieb entwickeln zu können. Und an der Stelle habe ich meine Sorgen. Investitionen, vor allem in der modernen Tierhaltung, werden kritisch gesehen. Viele reden von industrieller Produktion. In einem Industrieland wie Deutschland, das hochwertige Produkte in solchen Wertschöpfungsketten herstellt, sollte dies kein Schimpfwort sein. Solche Meinungsbilder und Stimmungen schrecken potentielle Nachfolger ab, die stattdessen andere Berufe ergreifen.

GAZ: Könnte man daraus nicht auch den Schluss ziehen, dass junge Landwirte fit gemacht werden müssen, um ihre Investitionen nach außen darstellen und vertreten zu können? Brauchen die Nachwuchskräfte Unterstützung auf dem Gebiet der Agrarkommunikation?

Röring:  Durchaus. Ein junger Landwirt muss in der Lage sein, seine Investitionen den Nachbarn, Behörden und der Kommune zu erklären und zu begründen. Deshalb ist Agrarkommunikation ein Thema der Zukunft und wir überlegen, das Fach als Studiengang anzubieten. Das ist letztlich auch ein wichtiger Baustein, um die Existenz der Landwirtschaft abzusichern. Immerhin arbeiten in NRW 800.000 Menschen in diesem Sektor.
Schulte-Uebbing: Da sitzen wir wieder im selben Boot. Nach Industrie und Handwerk hat es jetzt die Landwirtschaft ereilt, die gefordert ist, zum einen ein realistisches Bild von sich selbst zu vermitteln, und zum anderen ihre Sachzwänge und Erfordernisse darzustellen. In der Öffentlichkeit existiert oft noch ein verkehrtes Bild: Die Leute meinen zu wissen, wie ein Bauernhof auszusehen hat: 100 Hühner, zehn Kühe und zehn Schweine. Das stimmt natürlich so nicht mehr. Wir haben es mit Unternehmen zu tun, und sowohl das Handwerk als auch Industrie und Landwirtschaft stehen in der Pflicht, Lust auf Unternehmertum zu machen. Hier sind auch die Schulen gefragt, den jungen Menschen diese berufliche Perspektive nahe zu bringen. Das wäre im Übrigen eine Chance für die Sekundarschule, um sich wirtschaftsfreundlich zu positionieren. Ich sehe aber nicht, dass sie sie nutzt. Angesichts des demographischen Wandels werden wir ohnehin mit dem Problem zu kämpfen haben, dass bei sinkender Bevölkerungszahl auch die Anzahl derer sinkt, die ein Unternehmer-Gen mitbringen.

GAZ: Wenn schon nicht die Schulen genug unternehmen, zeigt denn zumindest die Industrie selbst genug Flagge?

Schulte-Uebbing: Der Kreis Borken als ein großes Gebiet im Westmünsterland stellt einen Sonderfall dar. Denn hier ist die Struktur eine andere, mit kleineren Betrieben und engen Verflechtungen. Da gehört die Industrie wie selbstverständlich dazu. Da gehört die Industrie wie selbstverständlich dazu. Solche Bedingungen haben wir in anderen Regionen nicht.

GAZ: Wie sieht das im Handwerk aus?

Dr. Oelck: Der Unternehmergeist ist natürlich zu erhalten. Ob er in der Vergangenheit immer genug gefördert wurde, lasse ich mal dahingestellt. Aber eines kann man für das Westmünsterland festhalten: Die meisten Firmen, die hier angesiedelt haben, sind sehr erfolgreich geworden und ordentlich und dauerhaft gewachsen. Diese großen Strukturen lassen sich aber auf Dauer aufgrund der schwindenden Bevölkerungszahlen nur aufrechterhalten, wenn wir weiterhin auf gewerbliche Zuwanderung setzen, die aus NRW oder auch den anderen Bundesländern erfolgen kann. Wir brauchen auch überhaupt nicht in die Ferne schweifen, Nehmen wir als Beispiel das südliche Ruhrgebiet. Dort sind die Wirtschaftszahlen exorbitant schlecht. Wir können doch Kampagnen fahren, dass es sich lohnt zu uns zu kommen. Die Existenzen sind doch recht sicher hier im westlichen Münsterland. Gewiss sind wir hier und da noch steigerungsfähig, beispielsweise bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von Frauen. Doch unter dem Strich sind die Strukturen doch gut und der Existenzgründer und Unternehmensnachfolger findet einen gut bereiteten Boden vor.

Der Euroraum

Dr. Wolfgang Baecker
Dr. Wolfgang Baecker, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Westmünsterland eG

GAZ: Es lässt sich eine Unwucht feststellen, wenn man im Euroraum den Süden mit dem Norden vergleicht. Kann das negative Folgen für den Euro haben?

Dr. Baecker: Bisher war das ja nicht der Fall. Trotz „Dauerkrise“ ist der Euro stabil, auch gegenüber dem US-Dollar. Und es erstaunt ja auch niemanden, dass die strukturellen Anpassungsprozesse im Süden Europas viele Jahre dauern werden. Daher darf es uns jetzt nicht überraschen, dass gewisse Sorgen noch andauern Eine Sorge ist zum Beispiel die, dass die Krisenländer sich ja wirtschaftlich neu positionieren müssen: Sie müssen etwa die Preise für ihre Produkte senken, um überhaupt noch etwas absetzen zu können. Hier droht ein gewisses Deflationspotenzial, was wiederum die Wachstumsaussichten beeinträchtigen könnte. Es muss also verhindert werden, dass die Krisenbekämpfung andere Krisen hervorruft.

GAZ: Haben wir eine Verpflichtung gegenüber den Ländern, die sich in einer Schieflage befinden, eine Verpflichtung, aus der wir nicht herauskommen?

Röring: Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie wir Europa politisch weiter verstehen. Es ist aber auch unabhängig davon zu erkennen, dass die Absatzmärkte für unsere Firmen in Zukunft in der Europäischen Union liegen. Daher stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wie die Länder unterstützt werden. Ziel muss es sein, sie wettbewerbsfähig zu machen.
Dr. Oelck: Das ist vollkommen richtig, Wir brauchen ein stabiles Umfeld und benötigen Vertrauen, das für die Investitionen, vor allem auch langfristige, ungemein wichtig ist. Das wiederum hat Einfluss auf die gesamte Konjunkturlage.
Röring: Da wir über den Euroraum sprechen, sollte man sich genau anschauen, womit sich die EU beschäftigt: Glühbirnen, Staubsauger, Plastiktüten? Man hört aus der Wirtschaft, dass die Union das Subsidiaritätsprinzip ernst nehmen soll. Es muss ihr um die großen Linien gehen. Ein Naturschutzgebiet gehört beispielsweise in die Verantwortung vor Ort. Oder das Beispiel Umweltpolitik: weg von einer  Behinderung der Wirtschaft hin zu einem Konsens, in den die Industrie eingebunden ist. Europa gilt es wieder stark zu machen und zwar als Wirtschaftsblock.

Freihandelsabkommen mit den USA: Chance oder Risiko?

Röring: Klare Antwort: Chance. Wenn die liberalisierten Märkte nicht über die WTO, die Welthandelsorganisation, im gewünschten Maß funktionieren, dann sind solche Abkommen gerade richtig, wobei ich hoffe, dass dann nicht nur die USA Wachstum verzeichnen, sondern auch Deutschland. Wichtig wird es aber sein, dass gleiche Standards gelten, Lebensmittel in gleicher Weise ausgezeichnet sind und deklariert werden, damit der Verbraucher erkennt, was er genau kauft. Ich denke hierbei vor allem an Gentechnik oder hormonbehandelte Ware. Andersherum kann man doch durchaus fragen: Warum sollen Amerikaner nicht unseren leckeren Käse und unsere leckere Wurst genießen?
Schulte-Uebbing: Nun sind die USA insgesamt betrachtet für uns nicht der große Markt. Aber immerhin acht Prozent des Exports gehen dort hin, mit derzeit guten Zuwachsraten. Entscheidend wird sein, dass eine Form der Marktöffnung erreicht wird, die beiden Seiten den Zugang auf möglichst vielen Gebieten erleichtert.

Export und Weltmärkte

GAZ:  Wie hat die VR-Bank ihre Mitglieder unterstützt, damit sie am Weltmarkt erfolgreich agieren können?

Dr. Baecker: Wir haben frühzeitig reagiert und mit der Einführung des Euro unsere Auslandsabteilung ausgebaut, obwohl viele sagten, mit der Gemeinschaftswährung wäre der Bedarf für diese Dienstleistung geringer. Das Gegenteil ist richtig, denn unsere Unternehmenskunden sind in hohem Maße auch im außereuropäischen Bereich aktiv, etwa in Asien oder Lateinamerika. Der Erfolg kann sich sehen lassen, gehört der Außenhandelsbereich doch heute eindeutig zu den größten Abteilungen in unserem Hause. Das Westmünsterland exportiert nicht nur in den Euroraum. Die Unternehmen orientieren sich auch zu den neuen Märkten in Asien oder Lateinamerika. Wir stellen für die heimische Wirtschaft die reibungslose Exportfinanzierung und Zahlungsabwicklung sicher, das ist sehr wichtig für unsere Kunden und die Region.
Schulte-Uebbing: Der Einbruch im Export war im Euroraum, aber sehr deutlich auch in Drittländern. Unsere Betriebe konnten direkt nach der Finanzkrise erfolgreich in den BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien, China verkaufen, wurden dann aber von der Abkühlung der Weltkonjunktur erwischt. Einen gewissen Ausgleich boten noch die MIST-Staaten: Malaysia, Indonesien, Südkorea und Türkei. Sie konnten aber das gesamte Minus nicht wettmachen, so dass wir derzeit immer noch unter dem Exportniveau von 2012 liegen.

Finanzmärkte

GAZ: Niedrigzinsen und Basel III bringen Banken unter Umständen in eine Klemme. Genossenschaftliche Banken sind nicht unbedingt für solche schwierige Zeiten geschaffen. Zudem wächst mit Privatbanken, die plötzlich den Mittelstand entdecken, ein neuer Mitbewerber heran. Ist die Situation bedrohlich und müssen neue Geschäftsfelder erschlossen werden?

Dr. Baecker: Richtig ist etwas anderes: Gerade die Genossenschaftsbanken haben in schwierigen Zeiten gut gewirtschaftet! Wir sind die einzige Bankengruppe, die ohne staatliche Hilfe ausgekommen ist. Das genossenschaftliche Geschäftsmodell ist ja gerade in schwierigen Zeiten entstanden, und in solchen zeigt es immer wieder seine Stärke! Sicherlich sind die Zinsen niedriger und die Margen enger, aber unsere Bankenorganisation stellt sich diesen Herausforderungen und ist dabei gut aufgestellt. Die Volksbanken wirken für die Region und werden von ihr getragen. Bei einer aktuellen Umfrage der Bundesbank zur Ertragsentwicklung der kommenden fünf Jahre im Niedrigzins-Szenario hat die VR-Bank übrigens gut abgeschnitten. Das niedrige Zinsniveau ist besonders für unsere Kunden eine Herausforderung beim Aufbau ihrer Altersversorgung. Wir müssen aber die Politik immer daran erinnern, dass durch die künstliche Niedrigzinspolitik nachhaltige Schäden an den Vermögenswerten der Deutschen erzeugt werden - sie spielt hier mit dem Feuer. Es ist ein Wechsel auf die Zukunft.

Die Schuldenuhr tickt. Was muss getan werden?

Schulte-Uebbing: Es ist nicht die Frage, ob wir zu wenig Einnahmen haben, sondern: Wie kommen wir mit den Einnahmen aus? Wir gehen doch immerhin auf 700 Milliarden Euro Staatseinnahmen zu. Da ist es doch zwingend erforderlich, Möglichkeiten des finanziellen Umschichtens auszuloten. Dabei muss aber die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben. Die jetzige Situation lässt sich an einem realen Beispiel gut beschreiben: Wenn die Energiekosten eines Unternehmens in einem Jahr um 2,4 Millionen Euro hochgeschossen sind, wird das Folgen für neue Investitionen haben. Die erfolgen vielleicht noch im Euro-Raum, aber wohl kaum in Deutschland.
Dr. Oelck: Die Bürger haben mit der Bundestagswahl ein deutliches Votum abgegeben, was sie von steigenden Steuern halten. Bei hoher Staatsverschuldung, wie wir sie haben, ist es zwingend erforderlich, die Ausgabeseite stärker in den Blick zu nehmen. Wir sollten die Frage stellen, wie Bund, Ländern und Kommunen finanziell ausgestattet sind und welche neuen Anforderungen auf sie zukommen. Hier im Westmünsterland gibt es aber noch schuldenfreie Städte und Gemeinden, die erfolgreich wirtschaften und die nun für die anderen, laut Landesregierung, mitzahlen sollen, was wir ablehnen. Unternehmen hängen von öffentlichen Investitionen ab. Wir haben rund 7000 kleine und mittlere Handwerks- Unternehmen, die zudem 5200 Auszubildende beschäftigen. Eine Steuerer- oder Abgabenerhöhung würde gerade die kleinen Betriebe gefährden.
Dr. Baecker: Es sollte doch der Grundsatz gelten, dass wir nicht mehr ausgeben dürfen, als man einnimmt. Man darf also auch als Kommune nicht dafür bestraft werden, schuldenfrei zu bleiben oder zu werden. Der sogenannte Kommunal-Soli der NRW Landesregierung fördert aber das Gegenteil. Warum soll ich sparen, wenn ich das Gesparte abgeben muss für verschuldete Kommunen? Die Kommunen können auch durch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zusätzlich belastet werden. Da die Schuldenbremse die Kommunen nicht einbezieht, besteht die Gefahr, dass der Bund und die Länder den Kommunen neue Aufgaben übertragen und damit neue Kosten entstehen. Was soll da der Kämmerer machen?

Röring: Wichtig ist es, die Schuldenbremse einzuhalten. Da muss man die Kostenseite genauer unter die Lupe nehmen. Wenn man Haushalte genau durchforstet, gibt es da sicher noch Einsparpotenziale. Die Staatseinnahmen müssen reichen. Im Wachstum liegt das Gebot der Stunde. Da macht mir die Debatte Sorge, die Investitionen in Frage stellt.

Infoblock: Konjunktur

Handel und Industrie: Die Industrie, vor allem der Maschinenbau, hofft auf die zweite Jahreshälfte, nachdem die beiden ersten Quartale nicht so rosig ausgefallen waren. Allerdings bewegt sich der Industriesektor auf einem hohen Niveau. Mit der Investitionsbereitschaft der Firmen ist es nicht so weit her laut der Umfrage. Das kann nach Aussage der IHK aber auch daran liegen, dass die Kammer vor der Bundestagswahl nachgehakt hat und zu dem Zeitpunkt noch viele wichtige Entscheidungen offen waren. Die Binnenkonjunktur wurde durchaus kritisch bewertet, und zwar stärker als die Themen Energie und Rohstoffpreise.
Der stationäre Handel, also die Geschäfte vor Ort, setzt auf das Weihnachtsgeschäft. Aber auch der Internethandel wird sich laut Prognose eine gewaltige Scheibe abschneiden. „Es wird auf die Kreativität unserer Kaufleute ankommen, die Leute in die Geschäfte zu locken“, sagt Karl-Friedrich Schulte-Uebbing, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen.
Handwerk: „In unserer jüngsten Umfrage haben 90 Prozent der Unternehmen, die Konjunktur als gut bewertet. Das ist ein hoher Wert“, betont Dr. Michael Oelck, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Coesfeld. Das Bau- und Ausbaugewerbe spricht in der Umfrage von einer hohen Auslastung. Das Bauhauptgewerbe kommt zu einem befriedigenden Urteil. Das lässt sich aber nicht von den Kfz-Firmen und dem Nahrungsmittelgewerbe sagen. Bei letzterem ist die Lage allerdings besser als im Jahr zuvor. Die Auftragslage der Industriezulieferer, vor allem aus dem Metall- und Maschinenbaubereich, stagniert ebenso wie die im gewerblichen Hallenbau.

Prognosen für das Jahr 2014

Schulte-Uebbing: Die Lage im Euroraum wird schwierig bleiben, aber erstmals gibt es Anzeichen für eine Besserung. Der Export wird anziehen, das Wachstum liegt voraussichtlich bei 1,5 Prozent. Wichtig wird sein, wie das Weihnachtsgeschäft ausfällt, wie die Zuversicht der Kunden ist. Verkaufsschlager werden wahrscheinlich iPads und Smartphones sein. Und nicht zuletzt kommt es für die Wirtschaft auch darauf an, welche Geschenke die Regierung in Berlin verteilt.
Dr. Oelck: Die Perspektiven sind gut, die Auslastung der Unternehmen in vielen Bereichen auch. Maßgeblich werden die Fragen sein, die sich im Zusammenhang mit der Energiepolitik ergeben. Die gilt es umzusetzen und mitzugestalten. Die Herausforderungen werden für uns im stärkeren Wettbewerb, in der beruflichen Bildung und in der Stärkung der Fachkräfte liegen.
Röring: Bei stabilen Grundvoraussetzungen umtreibt mich aber die Sorge, dass die Investitionen zurückgehen, unter anderem in der Tierhaltung oder bei der Biomasse. Das werden Handwerk und Industrie zu spüren bekommen. Eine sogenannte „Agrarwende“ werden wir nicht akzeptieren. Sie würde für den Verbraucher teuer sein. Uns stehen daher schwierige politische Diskussionen ins Haus. Sicher bin ich mir aber in der Einschätzung, dass die Nachfrage stabil bleiben wird.
Dr. Baecker: 2014 wird insgesamt ein gutes Jahr werden, auch wenn die Investitionen etwas abflachen und das Wirtschaftswachstum wohl nicht ganz so stark steigen wird wie derzeit optimistisch prognostiziert. Es kommt vermutlich darauf an, ob die neue Bundesregierung gute Rahmenbedingungen schaffen wird und es ihr gelingt, das Vertrauen in die Nachhaltigkeit von Politik wieder zu festigen. Das gilt besonders für die Energiewende mit ihren Auswirkungen auf die Energiewirtschaft, den Mittelstand und die Verbraucher. Nur bei einer glaubwürdigen Politik werden Investitionen folgen und wird Wohlstand in der Region gesichert. In 2014 gibt es dafür eine gute Chance.