"Es fehlt an Menschen, die Verantwortung tragen"

Extrembergsteiger Reinhold Messner bei "BANKLIVE" über dringende Fragen der Zeit

10.02.2014

Coesfeld. Er hat alle Achttausender dieser Welt erklommen, die Antarktis ebenso durchquert wie Grönland und die Wüste Gobi. Im Grunde sei er aber ein ängstlicher Mensch, bekannte Reinhold Messner vor rund 650 Gästen. Sie waren der Einladung zur diesjährigen „BANKLIVE“ – veranstaltet von der VR-Bank Westmünsterland - in das KonzertTheater Coesfeld gefolgt. Wie aus der Angst Mut erwachsen kann, erläuterte der 69-Jährige kurz und knapp: „Die Angst wächst, wenn ich zögere. Wenn ich handele, schwindet sie“. Dadurch erlange er die Kraft, sich den Herausforderungen zu stellen. Mit diesen Worten gab Messner aber auch eine Antwort darauf, was es heißt, wenn man sich einem hohen Risiko aussetzt. „High risk“ hatte der Extrembergsteiger als Überschrift für Vortrag und Gespräch mit der Journalistin Juliane Hielscher gewählt. Schon im Alter von fünf Jahren habe er gelernt, auch äußerst anspruchsvolle Situationen, wie sie die Bergwelt bereithält, zu meistern. Er bestieg damals, Ende der 40er Jahre, gemeinsam mit seinem Vater einen Dreitausender. Das sei zweifellos ein „Schlüsselerlebnis“ gewesen für ihn, der zwar heute einen Bergbauernhof betreibt, aber aus einer Lehrerfamilie aus der Nähe von Brixen stammt.

Video-Bericht zu BANKLIVE 2014

Reinhold Messner
Reinhold Messner zu Gast bei BANKLIVE der VR-Bank Westmünsterland

Als Reinhold Messner über seine Kindheit und „unseren Vorgarten“ erzählte, der „zehn Kilometer in alle Himmelsrichtungen reichte und aus Bäumen, Felsen und Wäldern bestand“,  beschrieb er die Quelle für seine enge Verbindung mit der Natur. Da ist sein Engagement als Umweltschützer mehr als konsequent. Gleichzeitig betonte er aber auch Realist und kein Idealist zu sein, der darum weiß, dass die „Erderwärmung eine Tatsache“ darstelle. Erheblichen Schwankungen seien die Durchschnittstemperaturen auf dem blauen Planeten in den vergangenen Jahrtausenden immer unterlegen gewesen, doch der CO2-Ausstoß, der nun den Ausschlag gebe, „könnte der Welt weh tun“. Ohne Sanktionen, bei denen vor allem Länder wie China, Indien, Brasilien, aber auch die USA in den Blick geraten, „passiert nichts“.
So sehr Messner der Naturschutz in  den Alpen ein großes Anliegen ist, weiß er auch um die möglichen Bedrohungen, die insbesondere vom Wintertourismus ausgehen können. Man müsse sich aber die Tatsache vergegenwärtigen, dass die Alpenregion maßgeblich vom Tourismus lebe und Orte wie Ischgl „nicht meinem Geschmack entsprechen“. Messner brach eine Lanze für nachhaltige Landschaftspflege, auf die es zu achten gelte. Die Natur biete selbst den besten Zaun, um das Vordringen des Menschen Einhalt zu gebieten. „Wer vor einem Gletscher steht, der geht nicht mehr weiter“.
Fortschritt sei hingegen in der Energiegewinnung gefragt, meinte Messner und gab seiner Zuversicht Ausdruck, dass die mobile Gesellschaft der heutigen Zeit neue Formen finden werde. Die eingeleitete Energiewende wiederum entspricht überhaupt nicht dem Ansinnen des ehemaligen Europaparlamentariers. Die Bürger zahlen, so hob er hervor, immer mehr für die Versorgung und  schaffen dadurch neue Milliardäre. Es sei an der Zeit, zu mehr Gerechtigkeit in der Finanzierung zu kommen und gemeinsam über die Neuausrichtung zu diskutieren.

Ein fehlendes Miteinander beklagte der frühere Grünen-Politiker auf europäischer Ebene. Die EU bezeichnete er als „Jahrmarkt der Partikularinteressen“ und es mangele an Europäern, die ein klares Bekenntnis zu Europa ablegen würden. Dass sich enge Verbundenheit mit der Heimat einerseits und der EU andererseits keineswegs ausschließen, brachte Messner in dem Satz zum Ausdruck „Ich fühle mich als Südeuropäer und als Südtiroler“. Warum denn der Einigungsprozess einen solchen Stellenwert besitze, fragte Juliane Hielscher nach. „Das muss klappen, weil Europa sonst untergeht“.

Die Beziehungen zum Nachbarn Russland sind nach Meinung des Südtirolers zu pflegen. Präsident Wladimir Putin sei sicherlich „kein Demokrat“, aber man müsse mit ihm reden und dürfe ihn nicht außen vor halten. Der Kreml-Chef habe es geschafft, seinen Plan von den Olympischen Spielen in Sotschi zu realisieren und das mit erheblichen Investitionen. Nach Ansicht von Messner ist es aber keineswegs erforderlich, immer wieder neue Spielstätten zu schaffen. Man solle die Spiele doch dorthin legen, wo sie schon einmal waren. Das verringere den gesamten Aufwand.

Der Sport, den er selbst betreibt, steht nach Messners Ansicht vor einer Zeitenwende. Es zeichne sich ganz deutlich ab, dass Kletterhallen enorme Zuwachsraten der Besucherzahlen verzeichnen würden, erläuterte er, während das klassische Klettern, also das Bergsteigen, deutlich weniger gefragt sei. 2020, prognostizierte Messner, wird es diese Form kaum noch geben. Für ihn ist es aber nicht nur ein neuer Trend, sondern er sieht darin auch einen gesellschaftlichen Wandel. „In unserer Zivilisation geben wir immer mehr Verantwortung ab“. Wer einen Berg erklimme und Gefahr in Kauf nehme, der übernehme Verantwortung für sich selbst oder auch für andere, die mit ihm unterwegs sind. Klettern in einer Sporthalle sei hingegen ungefährlich und man übertrage die Verantwortung an Dritte.

Reinhold Messner im Gespräch mit Moderatorin Juliane Hielscher
Reinhold Messner im Gespräch mit Moderatorin Juliane Hielscher

Er selbst hat sie auf allen seinen Touren übernommen und Grenzen überwunden. Messner war als erster Mensch auf dem Mount Everest ohne Sauerstoffflaschen mitzunehmen. Woher er denn eigentlich gewusst habe, dass diese Expedition gut gehe, wollte Juliane Hielscher wissen. Er sei sich seiner Sache sicher gewesen, auch wenn die Wissenschaft anders gesprochen habe. Wiederholt kommt Messner an diesem Abend auf den Begriff Instinkt zu sprechen, der bei ihm durch die enge Naturverbundenheit in frühester Kindheit geprägt sei. Sie bot sicherlich auch den Nährboden für Abenteuerlust und Entdeckergeist, die er inzwischen in andere Bahnen lenkt. Messner hat nicht nur den Öko-Hof aufgebaut und sich als Umweltschützer einen Namen erworben, der Extrembergsteiger hat auch ein Museum gegründet und will als Erzähler die Menschen an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben lassen. Im Gespräch mit der Moderatorin stellte er regelmäßige Kamingespräche in seinem Museum in Aussicht. E i n Projekt. Doch es können weitere hinzukommen. Alle zehn bis 15 Jahre beginne er etwas Neues, Stoff für ein BANKLIVE -Gespräch in einigen Jahren.

BankLIVE 2014
Zum Abschluss des Abends waren sie alle gemeinsam auf der Bühne: Reinhold Messner (2. v. r.), Moderatorin Juliane Hielscher, die Musiker Konstantin Manaev (Violoncello) und Ulugbek Palvanov, Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang Baecker (r.), Vorstand Georg Kremerskothen (3. v. r.) und Bankdirektor Berthold te Vrügt (l.)

Museen in der Bergwelt

„Ich nenne sie Hütte“, meinte Reinhold Messner und sprach von den sechs Museen, die er in Südtirol gegründet und aufgebaut hat. Das Publikum soll nicht nur einen Eindruck von der Bergwelt und dem alpinen Leben bekommen, sondern sich auch mit der Entstehung, der Entwicklung und der Zukunft befassen. Bei den Anlagen handelt es sich um einst ruinenhafte Schlösser, die wieder hergerichtet wurden, um einen alten Bischofssitz oder auch eine Wehranlage aus dem vergangenen Jahrhundert, in der nun geologische Funde zu sehen sind. Rund sechs Millionen Gäste zählen die Museen pro Jahr, von denen das sechste in diesem Herbst seiner Bestimmung übergeben wird.

"High risk" als Thema

Zum zweiten Mal hatte die VR-Bank Westmünsterland Reinhold Messner eingeladen, weil das Thema „High risk“ gerade in heutiger Zeit einen besonderen Stellenwert einnehme, meinte Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang Baecker. 2007 war Messner erstmals bei BANKLIVE zu Gast. Damals habe er vor allem als Grenzgänger gesprochen und die Frage erörtert, was es bedeutet, „immer am Limit“ zu agieren. Gewisse Parallelen sieht Messner zwischen den Grenzsituationen, die er als Bergsteiger erlebt, und denen, die auch im Wirtschaftsleben entstehen können. Wenn ein gesundes Leadership funktioniere, dann werde in schwierigen Situationen die Leitung instinktiv an denjenigen übergeben, der sich am besten eigne.

Kurz-Biografie:
1944 in Brixen geboren, aufgewachsen mit acht Geschwistern, nach einem Technik-Studium arbeitete er als Mittelschullehrer, bestieg alle 14 Achttausender ohne Sauerstoffflaschen im Alleingang, 1999 bis 2004 Europaabgeordneter, Autor von über 50 Büchern. Heute lebt Messner mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Meran.

Reinhold Messner im Interview (center.tv)