Coesfeld. Als die Coesfelderin Annelie Fabry vor inzwischen 20 Jahren erstmals nach Indien reiste, hätte sie wohl nicht vermutet, wie die Erlebnisse ihr Leben verändern sollten. Bewegt und zugleich erschrocken angesichts der Not in den Armenvierteln, vor allem in der Metropole Kalkutta, ergriff sie Initiative und begann mit sozialen Projekten, um die Not der Menschen zu lindern. Der damals gerade neu gegründete Inner Wheel Club Coesfeld unter dem Dach der Rotarier bot die Chance, die soziale Mission in die Tat umzusetzen. Für den Förderverein richtete die VR-Bank Westmünsterland vor wenigen Wochen eigens eine Benefizgala aus. Dabei kamen 5.371 Euro zusammen.
Der Rotary Club war es auch, mit dem die heute 74-Jährige einst den indischen Subkontinent besuchte und zu sehen bekam, in welchen unhaltbaren Zuständen Millionen von Menschen zu leben gezwungen sind. Annelie Fabry spricht selbst von „unglaublicher Armut, die uns überall auf dem Lande oder auf den Bürgersteigen von Kalkutta begegnete.“ Seither hat sie vier sehr unterschiedliche Projekte gestartet, um die Situation der Menschen zu verändern.
Ganz zu Beginn gründete sie das Priti Vocational Training Institute, um die Berufsausbildung von Jungen und Mädchen zu verbessern. Mindestens vier Jahre besuchen die jungen Leute diese Schule, lernen Fertigkeiten wie Stricken oder Schneidern, nehmen an Computerkursen teil. Das Abschlusszertifikat ist stets ein Ticket für einen sofortigen Arbeitsplatz.
Mit der Gründung einer Zahnklinik hat die Coesfelderin neue Wege beschritten, ist doch Zahnbehandlung in Indien eher ungewöhnlich. Ein schmerzender Zahn wird gleich entfernt. Gab es zunächst nur einen Behandlungsstuhl, sind es inzwischen vier. Durch die Behandlung von Privatpatienten wird in „Annelie’s Dental Clinic“, wie die Inder das Zentrum genannt haben, der Besuch von armen Bewohnern finanziert.
Das Projekt Nishda (übersetzt: Hingabe) zielt darauf ab, Frauenrechte zu stärken und insbesondere die Lebensbedingungen von jungen Mädchen zu verbessern. Bereits bei der Einschulung haben sie ein Defizit von 25 Prozent gegenüber den Jungen. Viele Mädchen verlassen mit Beginn der Pubertät die Schule, um zu heiraten – meist nicht freiwillig, sondern auf Druck der Eltern. Nishda setzt eigene Akzente, sorgt mit Theaterspielen und Hausbesuchen für ein Umdenken und hat bereits einen Arbeitskreis geschaffen, in dem nur Mütter von Mädchen mitarbeiten dürfen. Durch den Verkauf von selbst hergestellten Papiertüten, Kerzen und weiteren Artikeln für den alltäglichen Gebrauch wird die Ausbildung der Töchter finanziert.
Mit sozialer Mission Armut in Indien lindern
Benefizaktion für Initiative der Coesfelderin Annelie Fabry in der VR-Bank
10.04.2015

Das jüngste Projekt ist entstanden, um geistig und körperlich behinderte Kinder zu betreuen. Da sie in Indien als Strafe der Götter gelten, werden sie von Familien meist versteckt – aus Scham und Angst. Garia Sathi, benannt nach einem der armen Stadtteile Kalkuttas und dem indischen Wort für Freude, bietet Platz für 35 Kinder. Wie schwierig das Engagement für die Mädchen und Jungen ist, zeigt sich daran, dass die Räumlichkeiten schon mehrfach gewechselt werden mussten, weil Nachbarn sich gegen den jeweiligen Standort wehrten.
Um alle Hilfen finanziell zu schultern, veranstaltet Annelie Fabry zahlreiche Aktionen. Sie organisiert Doppelkopfturniere und Filmvorführungen, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen. Ebenso stellt sie immer wieder Spendenboxen in Geschäften auf. Regelmäßig sorgt die 74-Jährige vor Ort in Indien dafür, dass „die Spenden zielgenau dort ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden“, hieß es in der Laudatio, als Ministerpräsidentin Hannelore Kraft der Coesfelderin 2011 das Verdienstkreuz am Bande verlieh.
Spendenkonto Förderein Wheel Distrikt 87
DE19 4286 1387 5100 5661 00 (IBAN)
Infobox
- Für musikalische Untermalung der Benefizgala sorgten Nino Fabry und Barbara Kranz. Ludger Terodde, Leiter VR PrivateBanking, hieß die Gäste willkommen.
- In ihrer Rede ging Annelie Fabry auf Mutter Teresa ein, der sie zwei Jahre vor deren Tod im Jahr 1997 begegnete. Sie werde auch heute noch „überall hoch verehrt“, sagte die Coesfelderin. An der Spitze des Ordens der Missioniarinnen der Nächstenliebe, den Mutter Teresa mitbegründete, steht heute Marie Prima. „Ich bin in Groß-Reken geboren und kenne Coesfeld gut“, sagte die Oberin dem deutschen Gast in einem persönlichen Gespräch.
- Einen besonderen Dank richtete Pastor Bobi Thomas Vattamala, der die bedeutende Don-Bosco-Schule in Kalkutta mit rund 3.000 Schülern leitet, während der Veranstaltung an die Gäste aus.
- Die Ziele des Fördervereins Wheel Distrikt 87 sind: Kinderarbeit verringern, Kinderhochzeiten unterbinden, Ausbildung fördern, Frauen stärken, Aufklärung ermöglichen und Hygiene verbessern.
Ludger Terodde (VR-Bank), Beate Göb (Inner Wheel), Annelie Fabry (Inner Wheel), Pastor Bobi Thomas Vattamala (St. Lamberti), Rosemarie Niemeier (Inner Wheel), Nino Fabry und Barbara Kranz (musikalische Gestaltung des Abends)

Drei Fragen an Annelie Fabry
Wie wird es mit der Initiative in Zukunft weitergehen?
Ich werde die angesprochenen Projekte weiter nachhaltig unterstützen, das ist die einzige erfolgreiche Möglichkeit, langfristig etwas zu ändern. Die Menschen müssen gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Nur dann kann jeder verlässlich arbeiten. Das Gießkannenprinzip, mal hier und mal da etwas fördern, funktioniert nicht.
Indien wird hierzulande vor allem auch als ein technologisch aufstrebendes Land wahrgenommen. Müsste noch viel mehr der Blick auf Not und Armut gelenkt werden?
Indien ist in der Tat ein technologisch aufstrebendes Land und hat eine wachsende Mittel- und Oberschicht. Nur wird leider immer wieder vergessen, dass in Indien fast 1,3 Milliarden Menschen leben. Im Human Development-Report, mit dem die Vereinten Nationen die Lebenssituationen in den Ländern dieser Welt betrachtet, steht Indien an 135. Stelle. Der Anteil der Landbevölkerung macht fast 70 Prozent aus. Rund 750 Millionen Menschen müssen mit zwei Dollar oder weniger pro Tag auskommen, für uns unvorstellbar, um es klar auszudrücken: 17 Prozent der indischen Bevölkerung ist unterernährt, sie hungern. Die Beseitigung der Armut ist die größte Herausforderung der indischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zudem liegt das Durchschnittsalter der Inder bei 24,6 Jahre und 1/3 der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre ist. Vielleicht hilft, um sich die Dimensionen besser vorstellen zu können, ein Vergleich: Die beiden großen Städte Mumbai und Pune im Staate Maharashtra haben mehr Einwohner als der australische Kontinent.
Wie ist es um die Zusammenarbeit mit örtlichen Organisationen bestellt?
Ich unterhalte beste Beziehungen zu dem Rotary-Club Budge-Budge, Budge Budge ist ein Vorort von Kalkutta. Ich bin dort Ehrenmitglied. Von dem Club aus werden Unterlagen eingeholt, die für Projekte wie Brunnenbau oder z.B. der Errichtung des „Priti Vocational Training Institutes" erforderlich sind. Die Projekte „Nishda" und „Garia Sathi" sind sogenannte „Government Registered Organisations", vergleichbar unseren caritativen Einrichtungen. Schwierigkeiten habe ich nie gehabt.