Coesfeld. Das Schattenspiel der Gruppe „Mobilés“ zu Leben und Ländern in der EU bot beim BANKLIVE -Gespräch der VR-Bank Westmünsterland die maßgeschneiderte Einstimmung auf den Besuch des ehemaligen Außenministers Joschka Fischer. „Unsere Zukunft hängt entscheidend davon ab, ob Europa zusammenwächst“ betonte der Grünen-Politiker. „Das aber liegt in unserer Hand“. Fischer unterstrich die Rolle der Europäischen Union als Wertegemeinschaft, die sich den großen Herausforderungen der Zeit stellen müsse. Wenn jetzt plötzlich wieder der Gedanke an den Nationalstaat erwache, lassen sich nach Ansicht von Fischer damit nicht die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen, zu denen Digitalisierung, Terrorismus sowie Friedens- und Sicherheitspolitik gehören. „Ich weiß, was es bedeutet, das alte Europa zu überwinden, habe in den Ruinen nach dem Zweiten Weltkrieg gespielt und den Kalten Krieg miterlebt“. Dieser Veränderungsprozess sei alles andere als einfach gewesen. Die internationalen Verflechtungen und Größenordnungen, mit denen es die Staaten der EU zu tun haben, bieten aber keinen Platz für „Neonationalstaaten“. Wenn sich heutzutage, wie es der Politiker an einem Beispiel verdeutlichte, eine deutsche Behörde zu wirtschaftlichem Verhalten von China äußere, finde das in Fernost wenig Aufmerksamkeit, ganz anders sehe es im Fall des Einschreitens der EU-Kommission aus.
Einheit Europas weiter stärken
Früherer Vizekanzler Joschka Fischer lobt bei BANKLIVE-Gespräch der VR-Bank das Engagement der Firmen für Flüchtlinge
23.02.2016

Wie eng Europa mit seinen Nachbarregionen und der übrigen Welt verbunden sei, zeigt sich nach Worten des früheren Vizekanzlers vor allem in der Flüchtlingsthematik. Er hätte nie gedacht, dass er einmal Kanzlerin Angela Merkel unterstützen werde, aber in der Flüchtlingspolitik finde sie bei ihm Rückhalt. Die Regierungschefin sehe die Zusammenhänge von Fluchtursachen, ihren Folgen und der Suche nach Lösungsmodellen. Mit Blick auf Syrien oder auch Nordafrika wandte er ein, dass man sich entweder um die politische Lage kümmern und Verantwortung übernehmen müsse oder „die Menschen kommen zu uns“. Bewusst pessimistisch äußerte er sich zu einem baldigen Ende des Bürgerkriegs in Syrien. Da keine der Konfliktparteien stark genug sei sich durchzusetzen, befürchte er, dass sich die Kämpfe noch lange hinziehen – ähnlich wie bei dem religiös motivierten 30-jährigen Krieg, der auch im Münsterland getobt habe. Dr. Wolfgang Baecker, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank, hatte in seiner Begrüßung an die Frage von Jan Josef Liefers, Gast von BANKLIVE im Jahr 2015, erinnert: Wie beendet man einen Krieg, der sich nicht stoppen lässt? Die Thematik sei jetzt aktueller denn je, meinte Baecker.
Um eine einvernehmliche Lösung für eine EU-weite Aufnahme von Flüchtlingen zu finden, wird „noch schrecklich viel Zeit ins Land gehen“, sagte Fischer. Keinesfalls könne ein Land allein die Aufgabe schultern. Für die Europäische Union sei es eine „sehr, sehr große Herausforderung“, passende Konzepte zu finden. Auf die Frage von Moderator Markus Gürne, Leiter der ARD-Börsenredaktion, in welcher Weise sich die Bürger vor Ort einbringen können, lobte der Gast des BANKLIVE -Gespräches zunächst die deutsche Willkommenskultur, wie sie sich gerade im vergangenen Herbst gezeigt habe. Zudem sieht Fischer aber auch große Chancen für Unternehmen, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ein großes Interesse daran haben, Flüchtlinge zu beschäftigen. In dem Zusammenhang lobte Fischer ausdrücklich das Engagement der Firmen aus der Region. Im Einzelfall müsse man über erforderliche und vorhandene Schul- und Berufsabschlüsse sprechen. Die Integration der Flüchtlinge in den gesellschaftlichen Alltag ist, wie Fischer betonte, ein langer Prozess.

Er selbst entstamme auch einer Flüchtlingsfamilie, die einst aus Ungarn eingewandert sei, berichtete der frühere Außenminister und ergänzte: „Man kann es weit bringen“. Im Laufe der Geschichte sei Deutschland in seiner Eigenschaft als Einwanderungsland nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Und es bestehe auch überhaupt keine Gefahr, dass das Land durch Migranten seine Identität verliere.
Bei der aktuellen Suche nach Strategien, um die Flüchtlinge in der EU aufzunehmen, warnte Fischer davor, Politikern mit einfachen Lösungen Glauben zu schenken. „Wenn die Sie (an das Publikum gewandt, Anm.d.Red.) auffordern, übers Wasser zu gehen, gehen Sie gemeinsam unter“. Im Interview mit Markus Gürne warb Fischer um Verständnis für die Staaten Osteuropas, ihnen aufgrund ihrer eigenen geschichtlichen Erfahrungen Zeit bei der Suche nach Strategien zur Aufnahme von Flüchtlingen zu gönnen. Ohnehin plädierte er für Ruhe und Gelassenheit, wenn die EU Entscheidungen finden müsse. Das sei mitunter langwierig und er habe solche Verhandlungen als Außenminister oft miterlebt. Fischer erinnerte aber auch daran, dass in diesen Tagen vor 100 Jahren die Schlacht von Verdun begonnen habe, die Hunderttausende von Toten gefordert und keinen Landgewinn für eine der Kriegsparteien gebracht habe. Angesichts des Leids, das die Generation der Großeltern miterleben musste, sei es aber doch lohnenswert, sich der Mühen, die die Europäische Union mitbringe, zu unterziehen.

„Europa ist ein immerwährender Kompromiss“, betonte der Politiker und verdeutlichte, dass in der Union kein Staat einen anderen dominieren dürfe. Dauerhaft brauche die Gemeinschaft sichere Außengrenzen, weil ansonsten die einzelnen Länder angesichts der Flüchtlingsentwicklung ihre Grenzen wieder schließen. Das führe allerdings zu erheblichen Nachteilen für die wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb der EU.
In jüngster Zeit haben sich im direkten Umfeld der Union Gewichte verschoben, meinte Fischer und hob damit auf die Veränderungen in Nordafrika, die Türkei und Russland ab. Diese Veränderungen müsse man im Blick behalten und beachten, dass man Russland nur als starker Partner begegnen sollte.
Nachdem Joschka Fischer die EU „erklärt und schmackhaft gemacht hat“, so der Moderator, blieb noch die Frage offen, ob der einstige Vizekanzler nicht doch wieder in die Politik zurückkehren wolle. Darauf antwortete Fischer mit einem klaren Nein, brach aber eine Lanze für Politiker, die sich schwierigen Herausforderungen stellen müssen. Lob spendete Fischer dem Publikum, das durch seine Anwesenheit großes Interesse an Europa zeige.

Das Schattentheater „Mobilés“ begeisterte mit seiner Show das Publikum. Artistisches Können, mitreißende Musik, ausgefeilte Choreografie kombiniert die Gruppe aus dem Raum Köln mit der Technik des Schattenspiels. Die Körper der Darsteller verschmelzen artistisch und werden auf diese Weise zu Tieren, Pflanzen oder Gegenständen. Mit ihren phantasievollen Aufführungen faszinierten sie die Besucher im „konzert theater coesfeld“. Das Bild zeigt das Figurenspiel zu Griechenland, eines der Staaten, die die „Mobilés“ bei ihrer Phantasietour durch Europa in Szene setzten.

