Menschen sollen Lust auf Zukunft gewinnen

Bei BankLive forderte der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, die Chancen der Technologisierung zu erkennen und zu nutzen

12.09.2017

Ranga Yogeshwar

Coesfeld. Er ist der wohl renommierteste deutsche Wissenschaftsjournalist und arbeitet seit vielen Jahren vor allem zu den Themen Innovation und Bildung: Mit Ranga Yogeshwar war bei BANKLIVE, veranstaltet von der VR-Bank Westmünsterland, der Fernsehmoderator, Buchautor und Physiker zu Gast, der die Chancen wachsender Digitalisierung in den Blickpunkt rückte. Die Menschen sollten „Lust auf Zukunft“ gewinnen, lautete daher auch seine klare Botschaft. Eine ganz wichtige Voraussetzung, um bei der rasanten Technologisierung mitzuhalten, besteht für den Wissenschaftsjournalisten darin, dass auch in der Region Westmünsterland die erforderliche digitale Infrastruktur geschaffen wird. Ihr Stellenwert sei durchaus mit einer funktionierenden Strom- und Wasserversorgung gleichzusetzen, verdeutlichte der gebürtige Luxemburger. Ganz konkret bedeute diese Forderung, den Ausbau des Breitbandkabels voranzutreiben. Und der Mittelstand solle alles daran setzen, um – im wahrsten Wortsinn – den Anschluss nicht zu verlieren. Die Unternehmer seien durchaus gefordert, ein neues Denken zu lernen. Angesichts des grundlegenden Wandels in Wirtschaft und Industrie „müssen wir uns neu erfinden“.

In vielen Regionen Deutschlands, so auch im Westmünsterland, gebe es, betonte Yogeshwar, zahlreiche „hidden champions“, die in einem speziellen Gebiet Weltmarktführer seien. Um aber auf Dauer an der Spitze zu bleiben, müssten auch diese Firmen sich für Veränderungen öffnen. Als besonders wichtig erachtet es der Journalist, wie er es im Gespräch mit Moderatorin Kristina zur Mühlen darlegte, dass in diesen Prozessen auch die „Mitarbeiter mitgenommen werden“. Ihnen solle man auch die Chance geben, sich den Neuerungen zu öffnen, Fragen stellen und ausprobieren zu dürfen. Für wünschenswert hält es Yogeshwar hierzulande, mehr Verständnis und Akzeptanz dem Scheitern von Projekten und Vorhaben entgegenzubringen. Denn ganz häufig – und gerade in der jetzigen Zeit – müsse ein Unternehmer auch mal etwas wagen, riskieren oder versuchen.

An zahlreichen Beispielen zeigte Yogeshwar auf, dass das Neue den Menschen keine Angst machen muss. Ganz im Gegenteil. Unter anderem habe die Medizin bereits in den vergangenen Jahrzehnten bewirkt, die Lebenserwartung der Menschen zu verlängern oder auch – wie in Indien, dem Land seiner Kindheit – die Kindersterblichkeitsrate zu senken. Eine digitale Medizin biete darüber hinaus auch die Möglichkeit, alt zu werden und zugleich Lebensqualität zu bewahren. Darüber hinaus sieht der Journalist ganz praktische Vorteile bei der Behandlung von Patienten. Wenn ein Röntgengerät in der Lage ist, die Aufnahmen auch selbst auszuwerten, sei man nicht mehr nur allein auf die Erkenntnisse des Arztes angewiesen.

Das selbstfahrende Auto findet Umfragen zufolge bei nur einem Viertel der Bundesbürger uneingeschränkten Gefallen, zitierte er aus einer Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Doch „es wäre es doch angenehm, gerade beim Stau, wenn man die Zeit anderweitig, beispielsweise zum Lesen von Zeitungen per E-Reader, nutzen könnte“. Wie stark auch das Auto selbst angefeindet wurde, belege eine Karikatur aus dem Jahr 1912. Bei der Zeichnung sitzt ein Skelett als Fahrer im Wagen. Die Sichtweisen von damals und heute ähneln sich, weil die Menschen „die Zukunft mit den alten Augen sehen“.

Die Erfolgsgeschichte von iPhone und Smartphone, die gerade mal seit zehn Jahren auf dem Markt sind, habe die Welt auch deshalb einschneidend verändert, weil es zum einen möglich geworden sei, eine Masse an Informationen in bis dahin nicht gekannten Ausmaß zu transportieren, und zum anderen diese Informationen auch allen Nutzern zur Verfügung stehen. Diese Symmetrie an Wissen werde auch weiterhin das Leben der Menschen maßgeblich beeinflussen. Der Journalist sprach in dem Zusammenhang von einer „Wir-Gesellschaft“, die alle gemeinsam formen können. Und auch hier bestehe ein Unterschied zur Vergangenheit: Man solle eben nicht mehr nur konsumieren, sondern auch gestalten. Warum bekommen wir heute noch einen Kassenzettel und keine Mail mit dem Kaufbeleg? Warum müssen wir am Ende der Taxifahrt mühsam das Geld aus der Hosentasche holen und können nicht über eine App automatisch bezahlen? Yogeshwar: „Wir müssen uns nur umschauen, dann kommen wir alle auf so viele Ideen.“ Leider seien allerdings die Rahmenbedingungen für StartUps in Deutschland nicht die besten. „Manchmal muss man so viele Anträge stellen, dass man am Ende keine Ideen mehr hat“, beklagte der Gast aus dem Rheinland.

BANKLIVE 2017
Moderatorin Kristina zur Mühlen sprach mit Ranga Yogeshwar über die Herausforderungen der Zukunft und dem Umgang mit dem Neuen

Schöpferisch tätig werden kann künftig auch ein E-Book oder ein Reader aus eigenen Stücken, wenn der Leser Romane oder Geschichten zu lesen bekommt, die auf ihn zugeschnitten sind. Da spielt das Geschehen für einen bayerischen Leser in seiner Heimatstadt, für den Westmünsterländer in seinem Geburtsort. Möglicherweise finden auch noch die persönlichen Geburtstage Eingang in den Verlauf. Darüber hinaus lassen sich im digitalen Zeitalter die Pupillenweiten des Lesers messen, um zu erfahren, welche Passagen des Buches ihn besonders oder gar nicht beeindruckt haben. Hier – wie auch an anderen Stellen – schreite die technische Entwicklung aber noch immer weiter voran.

Sicherlich, so betonte der Journalist, müsse man auf vielen Gebieten, unter anderem auch bei der Künstlichen Intelligenz, über ethische Fragen reden. Es gelte zudem auch über ganz praktische Aspekte zu sprechen, wie über die Handhabe der Technik im Alltag. „Will man wirklich ständig per Handy erreichbar sein oder kann man das Gerät auch mal abschalten?“ Aber die Digitalisierung eigne sich nicht nur Schwarzmalerei, sondern verlange, sich mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Denn: „Wir sind die erste Generation, die aufgrund der rasanten Geschwindigkeit, in der Neues entsteht, in der glücklichen Lage sind, ihre Gegenwart und nicht nur die Zukunft gestalten zu können.“



BANKLIVE 2017
Abschluss nach einem unterhaltsamen Abend im konzert theater coesfeld: Ranga Yogeshwar (m.) und Moderatorin Kristina zur Mühlen mit den VR-Bank-Vorständen (v.l.) Matthias Entrup, Dr. Wolfgang Baecker und Berthold te Vrügt