Konzerte jenseits des Gewohnten

Die 16. mommenta Münsterland bot spannende Kontraste an außergewöhnlichen Orten

26.11.2018

Westmünsterland. Beat Boxen im Schwimmbecken, italienisch Barocken zwischen Kraftfutterregalen, Romeo und Julia in der Großschreinerei oder Vivaldi auf der Biohoftenne, Bach und Polka im futuristischen Showsaal eines Hallenbauers oder Urworte von Goethe und
Rilke, begleitet von einer Solovioline in der Caféteria einer Hypothekenbank: Die mommenta Münsterland bot mit einem kontrastreichen Klassikprogramm Tiefgang und Unterhaltung vom Feinsten. Zum 16. Mal hatte die GWK – Gesellschaft für Westfälische Kulturarbeit – aus Münster mit Unterstützung der VR-Bank Westmünsterland und der Münsterländischen Bank Thie & Co., außerdem erstmalig auch des Landes NRW und des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, zu „Konzerten an außergewöhnlichen Orten“ mit preisgekrönten Musikern eingeladen.

Musiker lieben ungewöhnliche Locations. Aus demselben Grund, aus dem auch das Publikum zur mommenta strömt: Man ist nah dran am Bühnengeschehen. Außerdem ist die Atmosphäre ungezwungen und persönlich, der Raum für den Anlass sorgfältig inszeniert, individuell durch jeden Gastgeber geprägt, der in der Konzertpause auch gut fürs leibliche Wohl sorgt. „Wir sprechen mit diesem Format“, so Dr. Susanne Schulte von der GWK, „beide Gruppen an, Menschen, die auch sonst Konzerte besuchen, weil wir erstklassige Künstler, häufig Preisträger der GWK und internationaler Wettbewerbe, verpflichten. Aber wir sprechen mit der mommenta auch solche Menschen an, die sich auf ein klassisches Konzert zum ersten Mal einlassen, gelockt durch den Ort, die besondere Kombi von musikalischer Qualität und Raumatmosphäre. Diese Mischung macht’s! Es herrscht eine besondere Stimmung im Publikum, es knistert Entdeckerfreude – und die inspiriert die Musikerinnen und Musiker wiederum neu.“ Dr. Wolfgang Baecker, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Westmünsterland, zum langjährigen Engagement seines Hauses: „Wir freuen uns sehr, dass wir in der mommenta eine nach wie vor höchst attraktive und nahezu einzigartige Konzertreihe unterstützen können, die hervorragend angenommen wird. Auch in diesem Jahr waren ja wieder alle Konzerte ausverkauft.“

Fulminanter Einstieg in die mommenta auf der Baustelle des düb-Erlebnisbades in Dülmen: Im leergepumpten Schwimmbecken, unter illuminierten Palmen und Felsen, trat das serbisch-armenische Duo Nerses auf. Schon die Kombination Querflöte und Akkordeon ist eher selten, die ganz spezielle Spezialität des Flötisten Nerses Ohanyan ist aber das Beatboxen auf der Flöte. Damit ist er einer der wenigen weltweit, die sich selbst wie eine Rhythmusmaschine beim Melodiespiel auf der Flöte begleiten können. Das Duo erntete Jubel und Standing Ovations.

Direkt aus Kattowitz in Polen war das preisgekrönte Duo MagDus´ in die Fertigungshalle des Ladenbauers, Hotel- und Inneneinrichters Habo Elements in Borken-Grütlohn eingeflogen. Mit einem Saxophon-Klavier-Programm, das nicht nur die Liebesgeschichte von Romeo und Julia in einer Suite Prokofjews lebendig machte, begeisterte es die 190 Besucher inmitten von Hightech-Maschinen und Tischlermaterialien.

Italienisch barockten die prominentesten Musiker der mommenta, zwischen Kälbermilch und Luzernesamen im stimmungsvoll umgebauten Lager der Agri V Raiffeisen in Borken-Burlo. Das barocke Quartett „4 Times Baroque“ war kurz vor seinem Auftritt bei der Agri V Raiffeisen in einer von Thomas Gottschalk moderierten ZDF-Gala mit einem „Opus Klassik“ ausgezeichnet worden. Den Preis der deutschen Schallplattenindustrie erhielten die Vier als „das Nachwuchsensemble des Jahres“ für ihre CD „Caught in Italian Virtuosity“. Genau diese Stücke standen auf dem mommenta-Programm, im Mittelpunkt Vivaldi und eine fetzige barocke Neuentdeckung von Pierre Prowo.

Vivaldi begrüßte die mommenta-Gäste nicht erst im Konzert des peruanischen Gitarristen und GWK-Preisträgers Carlos Navarro mit dem Streichquartett der Dortmunder Philharmoniker, sondern schon vorher, in der Einfahrt des Biohofs Eising in Rosendahl-Holtwick. Phantasievoll hatte Gastgeberin Marion Eising eine Schaufensterpuppe in den Barockkomponisten verwandelt, der die Konzertgäste mit einem Paukenschlag begrüßte. In die alte Melkkammer, die zur Bar umfunktioniert war, hatte sie unter anderem ein Bild gehängt, das die Pilzköpfe aus Liverpool in Warhol-Manier zeigte. Denn das Konzertprogramm schloss mit einer bunten Suite aus Beatles-Songs des kubanischen Komponisten und Meistergitarristen Leo Brouwer.Still, melodiös, schwungvoll und einladend voradventlich ging es bei den beiden Konzerten, einer Matinee und einem Spätnachmittagskonzert, auf der geschichtsträchtigen Tenne der Milchbauern zu.

Von strahlend Blau auf ein pinkes Lila, die diesjährige Farbe der mommenta, hatte der Hallenbauer Sicon die weithin sichtbare Lichtinstallation auf seiner langen Unternehmensfassade an der B 525 umprogrammiert. Den brandneuen, fast futuristisch anmutenden Showroom mit seinen nächtlich spiegelnden Glaswänden weihte das preisgekrönte Xenon Saxophonquartett mit einem bejubelten Konzertprogramm und lockeren Moderationen ein: ein toller Sound mit vier klassischen Saxophonisten in Topform. Drei Zugaben, ganz zuletzt, zum finalen Runterkommen, „Guten Abend, gute Nacht“ – sonor und herzergreifend.

Michael Mendl ist kein junger Künstler mehr. Doch die vielfach ausgezeichnete Geigenvirtuosin Nina Reddig, die ihre hoch gelobte Debut-CD vor einigen Wochen veröffentlichte, hatte den berühmten Charakterdarsteller für ihre Programmidee gewinnen können. Ausgesuchte Texte von Goethe und Rilke, die zentrale Fragen nach dem Sinn des Lebens stellen, kombinierte sie mit der wohl erschütterndsten Komposition für Solovioline überhaupt, Johann Sebastian Bachs Chaconne, und mit ausgewählten Werken von Eugène Ysaÿe und Béla Bártok: Ein Abend, erfüllt von Weisheit und Schönheit, in der Cafeteria der DZ Hyp in Münster, der bezauberte und ergriff.

Die 16. mommenta schloss in der Großbäckerei Ebbing in Coesfeld mit klarinettistisch Virtuosem aus England und Amerika. Furios heizten der Klarinettist und GWK-Preisträger Simon Degenkolbe und sein kongenialer Partner am Klavier, Helge Aurich, mit Klassik, die von Jazz und Populärkultur elektrisiert war, vor den Hochtechnologie-Backöfen ein. Strahlender Applaus – und man verabschiedete sich gelöst: dann bis zur mommenta Münsterland 2019 und neuen, ganz besonderen Momenten, jenen mit dem doppelten „m“.